Kafka hat den in seiner Handschrift mehr als hundert Seiten langem Brief 1919 in einer Pension in Schelesen geschrieben. Er hat den Brief nie abgeschickt oder ihn dem Vater übergeben. Mit 36 Jahren hat er sich daran gemacht, in Form eines Briefes mit dem Vater "Frieden zu schließen", den für sein gesamtes Leben so wichtigen Konflikt mit dem Vater schreibend zu bewältigen. Dabei versteht er seine Darstellung niemals als bloße Anklage, sondern ist immer bemüht die Schuldlosigkeit des Vaters festzuhalten. Zwei zu unterschiedliche Wesen, ein von Anfang an übermächtiger Vater, dem weder das Kind noch der erwachsene Mann ebenbürtig werden konnten - so hören sich seine Entschuldigungen an. Franz Kafka hatte nie vor, denn Brief seinen Vater zu übergeben.
Stefan Fleming, dem Wiener Schauspieler und Autor, gelang hier eine Interpretation des Briefs, die an die Nieren geht. Mit seiner Stimme setzt er Kafkas Horror der lebenslangen Abhängigkeit vom Vater ergreifend in Szene: Der Tyrann, der alles, was den Sohn interessiert, kritisierte, der an Stelle von Selbstvertrauen Schuldbewusstsein beim Sohn einpflanzt ... die ganze tragische Entwicklung wird lebendig. Wer das gehört hat, findet wahrscheinlich einen neuen Zugang zu Kafkas Werk. Lesung, Spieldauer: ca. 134 Minuten, 2 CD. Mit Booklet.
Wie Max Brod mitteilt, hatte Kafka die Absicht, den Brief seiner Mutter zu übergeben, die ihn dann an den Vater weiterreichen sollte. Dieser Bitte sei Julie Kafka jedoch nicht nachgekommen.
Auch im Jahr 1920 spielte Kafka noch immer mit dem Gedanken, den Brief seinem eigentlichen Adressaten zuzustellen. Allmählich wuchs aber der Zweifel daran, ob eine Verständigung mit dem Vater — geschweige denn eine Aussöhnung — durch ein derartiges Dokument zu erreichen sein würde. Je weiter sich Kafka vom unmittelbaren Anlass des Briefes entfernte, desto mehr begriff er ihn als autobiografischen Text, der eines realen Gegenübers gar nicht bedurfte.
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Kafka hat den in seiner Handschrift mehr als hundert Seiten langem Brief 1919 in einer Pension in Schelesen geschrieben. Er hat den Brief nie abgeschickt oder ihn dem Vater übergeben. Mit 36 Jahren hat er sich daran gemacht, in Form eines Briefes mit dem Vater "Frieden zu schließen", den für sein gesamtes Leben so wichtigen Konflikt mit dem Vater schreibend zu bewältigen. Dabei versteht er seine Darstellung niemals als bloße Anklage, sondern ist immer bemüht die Schuldlosigkeit des Vaters festzuhalten. Zwei zu unterschiedliche Wesen, ein von Anfang an übermächtiger Vater, dem weder das Kind noch der erwachsene Mann ebenbürtig werden konnten - so hören sich seine Entschuldigungen an. Franz Kafka hatte nie vor, denn Brief seinen Vater zu übergeben.
Stefan Fleming, dem Wiener Schauspieler und Autor, gelang hier eine Interpretation des Briefs, die an die Nieren geht. Mit seiner Stimme setzt er Kafkas Horror der lebenslangen Abhängigkeit vom Vater ergreifend in Szene: Der Tyrann, der alles, was den Sohn interessiert, kritisierte, der an Stelle von Selbstvertrauen Schuldbewusstsein beim Sohn einpflanzt ... die ganze tragische Entwicklung wird lebendig. Wer das gehört hat, findet wahrscheinlich einen neuen Zugang zu Kafkas Werk. Lesung, Spieldauer: ca. 134 Minuten, 2 CD. Mit Booklet.
http://www.amazon.de/Brief-den-Vater-2-CDs/dp/3902...
Weil er die Adresse vergessen hatte.
Wie Max Brod mitteilt, hatte Kafka die Absicht, den Brief seiner Mutter zu übergeben, die ihn dann an den Vater weiterreichen sollte. Dieser Bitte sei Julie Kafka jedoch nicht nachgekommen.
Auch im Jahr 1920 spielte Kafka noch immer mit dem Gedanken, den Brief seinem eigentlichen Adressaten zuzustellen. Allmählich wuchs aber der Zweifel daran, ob eine Verständigung mit dem Vater — geschweige denn eine Aussöhnung — durch ein derartiges Dokument zu erreichen sein würde. Je weiter sich Kafka vom unmittelbaren Anlass des Briefes entfernte, desto mehr begriff er ihn als autobiografischen Text, der eines realen Gegenübers gar nicht bedurfte.
Er hatte keine Briefmarken mehr.